27. Sonntag im Jahreskreis – B:
Gen 2,18-24 / Mk 10,2-12
(Linz − Ursulinenkirche, 06. X. 2024)
Ein Vorarlberger Partei-Mitgründer, der auch durch seinen nicht immer glücklichen Hang zur Poesie bekannt geworden ist und sich knapp vor der jüngsten Nationalratswahl (angeblich) endgültig aus der Politik verabschiedet hat, hat einmal das Parlament als „die größte Sinn-Fabrik der Republik“ gelobt. Ich habe damals schon nicht ganz verstanden, wie er darauf kommt. Die auch in der Verfassung verankerte Hauptaufgabe unseres Parlaments liegt ja eher in der Produktion von Gesetzen, aber nicht eigentlich von Sinn. Gesetze sind zweifellos notwendig für ein geordnetes Zusammenleben. Ob sie aber auch wirklich Träger von Sinn sind …? Das heutige Tagesevangelium gibt diesbezüglich Anlass zum Zweifel, ja es insinuiert sogar einen gewissen Gegensatz zwischen Gesetz und Sinn.
Die Pharisäer, die da zu Jesus kommen, fragen nach der Erlaubtheit der Ehescheidung. Sie waren ebenso wie Jesus offenkundig gut bewandert im für sie bindend gültigen mosaischen Gesetz, das die Ehescheidung unter Beachtung bestimmter Vorschriften zuließ. So weit, so gut – oder eben nicht! Denn Jesus entlarvt in weiterer Folge die Fragestellung seiner Kontrahenten nicht nur als oberflächlich, sondern auch als ungenügend: Wer im Blick auf einen anderen Menschen lediglich fragt, was diesem Menschen gegenüber erlaubt ist, verrät letztlich eine äußerst egoistische Grundhaltung; er könnte ebenso gut fragen: Was kann ich mir alles herausnehmen? Wie kann ich innerhalb des gesetzlich Erlaubten möglichst viel für mich herausschlagen? Die Grenze des gesetzlich Erlaubten markiert hier bereits die Grenze zwischen Gut und Böse. Einfach ausgedrückt: Gut ist, was nicht verboten ist. Das ist in Wahrheit nur ein ethischer Minimalismus, und Jesus nennt das Hartherzigkeit. Interessant ist das dafür verwendete Wort im griechischen Originaltext: „σκληροκαρδία“ (Sklerokardía) – wörtlich „Herz-Sklerose“. Unter Sklerose versteht man bekanntlich eine Verhärtung von Organen oder Gewebe, und die Medizin macht dafür die krankhafte Vermehrung von Bindegewebe verantwortlich. Wer sein Handeln also lediglich an der Grenze des gesetzlich Erlaubten orientiert, hat letztlich ein krankhaft verhärtetes Herz. Denn die eigentliche Orientierungsfrage für wirklich menschliches Handeln lautet nicht „Was ist erlaubt?“, sondern „Was ist gut?“ – und die Antwort auf diese Frage lässt sich nicht aus Gesetzen gewinnen, sondern nur aus Sinn. Deshalb der Verweis Jesu auf die ursprüngliche – sinnhafte! – Bestimmung des Menschen als Mann und Frau!
Vor diesem Hintergrund stellt sich natürlich die Frage, ob wir nicht in einer hochgradig Herz-sklerotischen Gesellschaft leben: Noch nie war die Produktion von Gesetzestexten so gewaltig wie heute. Für einfache Geschäfte, zu deren Abschluss eigentlich ein Handschlag genügen sollte, muss heute seitenlangen AGBs zugestimmt werden, die kein Mensch liest. Allenthalben gilt der Grundsatz „Vertrauen ist gut, Verträge sind besser!“ In einer multikulturellen, globalen und zudem noch pluralistischen Gesellschaft stellen Gesetze und Verträge offenbar das einzig taugliche Bindegewebe für funktionierende soziale Beziehungen dar. Aber ungebremstes Wachstum von Bindegewebe führt bekanntlich zu krankhafter Verhärtung – Sklerose.
Gute Gesetze sind also zweifellos notwendig. Was gutes menschliches Zusammenleben aber braucht, sind nicht noch mehr und bessere Gesetze, sondern zuallererst Antworten auf grundlegende Sinnfragen. Gesetze allein bilden bestenfalls den äußersten Rahmen sozial verträglichen Handelns ab, also den Rahmen des Erlaubten. Aber niemals sind sie eine Antwort auf die zentrale Orientierungsfrage menschlichen Handelns: „Was ist gut? Worin besteht gutes Leben?“ – Vielleicht hat der eingangs erwähnte Ex-Politiker sogar auf diese zentralen Sinn-Fragen angespielt. Mit tragfähigen Antworten darauf ist unser gutes Parlament aber wohl überfordert – und sie zu geben, ist auch nicht seine eigentliche Aufgabe. Freilich, dass sich die gesetzgeberische Arbeit im Parlament an solchen Sinn-Fragen orientieren sollte – das darf man sich schon wünschen.
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