Die aktuelle Predigt

17. Sonntag im Jahreskreis – B:
2Kön 4,42-44 / Joh 6,1-15

(Linz − Ursulinenkirche, 28. VII. 2024)

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Als „wundersame Brot-vermehrung“ ist dieses biblische Ereignis in unserem kollektiven religiösen Gedächtnis verankert. Aber diese Überschrift ist nicht Teil des griechischen Originaltextes, sondern ein nachträglicher redaktioneller Eingriff. Und dieser erweckt meine Skepsis: Ich bezweifle daran keineswegs das Wundervolle des geschilderten Ereignisses; Ziel meiner Kritik ist vielmehr die Rede von einer Vermehrung von Brot und Fisch. Denn vielleicht steckt dahinter eine ideologische Einfärbung, die zu einem Trugschluss führt.

Wir haben es in der erzählten Szene zunächst einmal mit einer krassen Ungleichheit zu tun: Da ist in der riesigen Menschenmenge nur dieser kleine Junge mit ausreichender Versor­gung an lebensnotwendiger Nahrung. Alle Übrigen haben offenbar nichts oder jedenfalls zu wenig. – Das spiegelt – durchaus in dieser Drastik – die Verteilung von Reichtum und Vermögen in unserer modernen Welt wieder. Dazu nur ein Zahlenbeispiel: Im Jahr 2021 besaßen knapp über 1 % aller Erwachsenen fast 50% des weltweiten Reichtums, während etwas über 50% nur knapp über 1% davon besaßen. (Vgl. Global Wealth Report 2022) In der biblischen Erzählung beträgt das Verhältnis zwischen dem Besitz an ausreichender Nahrung und deren Mangel 1:5.000. Die weltweite Verteilungsschere ist im Vergleich dazu noch ungleich weiter gespreizt und geht noch weiter auf! – Und jetzt kommt’s: Gefragt nach Maßnahmen gegen diese Ungleichheit, antworten die meisten Mainstream-Ökonom*innen und Politiker*innen, dieses Problem sei nur durch weiteres Wachstum unserer Weltwirt­schaft in den Griff zu bekommen – biblisch gesprochen also durch die Vermehrung von Brot und Fisch. Nur so könnten alle satt werden. Das Problem daran: Durch wirtschaftliches Wachstum kann zwar die Zahl der absolut Armen auf dieser Welt tatsächlich verringert werden; dennoch profitieren vom insgesamt wachsenden Kuchen die Reichen dieser Welt noch ungleich mehr – maW: Die Ungleichverteilung der Güter dieser Welt erreicht durch ihre bloße Vermehrung nur noch obszönere Ausmaße!

Sollte die biblische Erzählung von der Speisung der 5.000 mit 5 Broten und 2 Fischen tatsächlich in dieselbe Kerbe schlagen bzw. in dieselbe Falle tappen: Problemlösung durch die bloße Vermehrung von Brot und Fisch?!? – Liegt der Akzent der Erzählung nicht doch woanders – nämlich nicht auf einer wunderbaren Vermehrung des Vorhandenen, sondern vielmehr auf einer wundersamen Sättigung. – Aber wie kam die zustande? Vielleicht so: Wenn 5 Brote auch zu wenig erscheinen, um die Vielen zu sättigen, dann schafft das offenbar die Teilung dieser Brote. Man könnte das auch auf die einfache aber zugleich paradoxe Formel bringen: Ein geteiltes Stück Brot sättigt mehr als ein ganzer Laib.

Freilich: Angesichts der Schreckensbilder aus den Elendsquartieren dieser Welt kann sich niemand erlauben, den tatsächlichen, nackten Hunger nach Nahrung und lebensnot­wendigen Gütern zu verharmlosen und zu ignorieren. Aber dennoch meint das Evangelium zuerst einen anderen Hunger, der um nichts harmloser ist, und unter dem wohl alle Menschen – auch in den reichen Weltgegenden – leiden: Der Hunger, den Jesus stillt, ist nur vordergründig ein Hunger nach Brot. Der Hunger, den Jesus hier stillt, ist der Hunger nach geteiltem Leben, der Hunger nach Gemeinschaft und Solidarität.

Wird das Evangelium so gelesen, heißt das noch lange nicht, die tatsächlich existierende Ungerechtigkeit in unserer Welt herunter zu spielen und zu verharmlosen – im Gegenteil: Diese Deutung kann sogar daran erinnern, dass die real existierende Not in dieser Welt vielfach gar kein Problem irgendeines Mangels ist – eines Mangels an Ressourcen, an Nahrungsmitteln oder woran sonst auch immer. Nein, die Not dieser Welt ist v.a. ein Problem der gerechten Verteilung der Erdengüter, also eine Frage des Teilens. Ein Sozial­wissenschaftler hat das einmal so gesagt: „Die Teilung dieser Welt in Arm und Reich kann nur durch Teilen überwunden werden.“ – Eine solche Deutung des Evangeliums geht also an der tatsächlichen Not in dieser Welt keineswegs vorbei, sondern nimmt sie – im Gegenteil – an ihrer Wurzel ernst. Die biblische Speisung der 5.000 erfolgte nicht durch Brot-vermehrung, sondern durch Brot-teilung. Und das ist es, was auch unsere moderne Welt genauso braucht wie das tägliche Brot selbst!



Nächste Predigt: 18. Sonntag im Jahreskreis – B, 04. VIII. 2024

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dem Menschen zumutbar.

(Ingeborg Bachmann)
 
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