5. Fastensonntag – B:
Jer 31,31-34 / Joh 12,20-25
(Linz − Ursulinenkirche, 17. III. 2024)
Mit dem 5. Fastensonntag beginnt im Kirchenjahr die sogenannte „Passionszeit“, mit der die Fastenzeit gleichsam in die Zielgerade einbiegt. Äußeres Zeichen dieser besonderen Zeit ist – zwar nicht bei uns, aber in vielen anderen Kirchen – die Verhüllung aller Kruzifixe mit einem violetten Tuch – also ausgerechnet in einer Zeit, in der doch der Leidensweg Jesu immer mehr ins Zentrum christlicher Betrachtungen rückt, sei es nun mit der konzertanten Aufführung von Passionsmusiken, sei es mit dem Begängnis von Kreuzwegen u.v.a.m. Weshalb werden ausgerechnet jetzt das Kreuz als Zielpunkt des Leidenswegs Jesu und der darauf zu Tode Gequälte unseren Blicken entzogen? Wird hier lediglich „die Bühne bereitet“ für die feierliche Enthüllung des Kreuzes in unseren Karfreitagsliturgien? Gibt es nicht noch einen tiefsinnigeren Grund für die Verhüllung der Kruzifixe?
Mein Vorschlag: Vielleicht soll unser Blick durch diese Verhüllung einfach irritiert und unsere Aufmerksamkeit abgelenkt werden von jeglicher Fixierung auf das Leiden Jesu. Der Begriff „Passion“ trägt ja noch eine andere Bedeutung als „Leiden“ bzw. „Leidensweg“: „Passion“ bezeichnet ja auch eine starke Neigung, eine Leidenschaft, ja, eine Vorliebe und Liebhaberei. Man kann „Passion Jesu Christi“ also mit Fug und Recht auch so übersetzen: als Jesu Leidenschaft und Vorliebe. – Damit aber können doch nicht ernsthaft Folterqualen gemeint sein, Demütigungen und schließlich der Kreuzestod selbst. Jesus war doch kein Masochist, kein Jünger irgendeines kranken Opferkultes, der dem Leiden selbst noch irgendeinen positiven Wert abgewinnt! – Im Gegenteil: Jesu Predigen und Wirken stehen doch vielfach gerade unter dem Vorzeichen der Bekämpfung von Leid: All die Krankenheilungen, die Seligpreisungen all jener, die gegen Not und Leid anderer eintreten, auch die Mähler, an denen Jesus teilgenommen hat – das alles ist doch Ausdruck positiver Lebensbejahung und nicht irgendeiner morbiden Leidenssucht! Das – so verstehe ich zumindest die Überlieferungen von Jesus: das war seine eigentliche Passion und Leidenschaft: das Leben, das gute Leben für alle. Dafür setzte er sich und sein Leben ein; das konnte er gut leiden, dafür war er also nötigenfalls auch bereit, Leid auf sich nehmen!
Wenn Christsein also bedeutet, Christus nachzufolgen und ihm immer ähnlicher zu werden, dann bedeutet das gerade nicht, das eigene Leben unbedingt zu kreuzigen; bedeutet nicht Selbstopfer um des Opfers willen; bedeutet nicht, Jesus ähnlich zu werden im Leiden selbst, sondern in seiner Leidenschaft: also in seinem Einsatz und seiner Vorliebe für alle Armen, an den Rand Gedrängten und eben Leidenden. – Wenn in diesen letzten Tagen vor Ostern das Kreuz Jesu also verhüllt wird, um es dann am Karfreitag wieder feierlich zu enthüllen und über allen aufzurichten – dann könnte das auch so gedeutet werden: Nicht dem Leiden Jesu selbst soll unsere Aufmerksamkeit gelten, sondern vielmehr seiner Leidenschaft, die das finale Kreuz nur in Kauf nimmt als den Preis seiner Liebe und Leidenschaft.
Diese Unterscheidung ist wesentlich: Das Kreuz als zentrales Symbol unseres Glaubens ist keineswegs eine Verherrlichung des Leidens an sich; in einem solchen Sinn wäre es wirklich nur ein Schandpfahl und seine Verehrung schlichtweg pervers. Das Kreuz ist vielmehr Erinnerung und Symbol einer Liebe, die sogar noch bereit ist, für bzw. an ihrem Gegenstand zu leiden. Es ist somit ein Symbol gegen alle Verwechslungen von Liebe mit harmlosem Vergnügen und bloßer Lieblichkeit. Als Erinnerung und Symbol einer leidenschaftlichen Liebe ist das Kreuz aber vielmehr noch Aufforderung und Erinnerung gegen jede Verherrlichung, ja sogar schon gegen die bloße Duldung von Leid – insofern echte Liebe ja niemals das Leiden und Opfer des Geliebten erträgt oder gar gutheißt, sondern höchstens das eigene Leiden – aber auch nur um des Lebens und Heiles des Geliebten willen.
Man kann ja an vielem leiden: An Menschen oder an Konflikten, an eigenen oder fremden Unzulänglichkeiten, an Krankheiten, an Gewalt oder allerlei Notlagen etc. In allem aber gilt: Leiden selbst trägt keinen Sinn in sich – im Gegenteil: Es ist sogar und stets eine bohrende Infragestellung von Sinn. Und es findet seine einzig mögliche Rechtfertigung erst, wenn diese Infragestellung eine positive Antwort erfährt als Leidenschaft: also Leiden aus Liebe und um eines Geliebten willen.
Nächste Predigt: Palmsonntag – B, 24. III. 2024