Die aktuelle Predigt

Palmsonntag – C: Lk 19,28-40

(Linz − Ursulinenkirche, 13. IV. 2025)

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„Hosanna!“ und „Kreuzige ihn!“ – Zwischen diesen Polen spannt sich das Geschehen der alljährlichen Karwoche aus. Gelegentlich ist in diesem Zusammenhang die Rede von der Wankelmütigkeit der Menschen; davon, wie schmal der Graben ist zwischen Begeisterung und blindem Hass. Aber waren es damals wirklich ein und dieselben Leute, die so Verschiedenes geschrien haben? Freilich, eine gewisse gemeinsame Schnittmenge zwischen den Menschenansammlungen beim Einzug Jesu in Jerusalem und bei seiner Verurteilung nur wenige Tage später mag es schon gegeben haben; Adabeis, Mitläufer und Wendehälse gab es immer schon: also Leute, die besinnungslos mitschreien, was ihnen gerade vorskandiert wird. Aber auf die kommt es nicht an. Die entscheiden nichts.

Ich sehe bei Jesu Einzug in Jerusalem also viel eher jubelnde Menschen in den Straßen, die Jesus wirklich und aufrichtig willkommen hießen als ihren Friedenskönig – als einen, der so ganz anders daherkommt als andere Herren: nicht in der kugelsicheren Staatskarosse, sondern auf einem schwankenden Kleintransporter. Dieser König führt keine waffenstarren­den Securities mit sich, weil seine einzigen Waffen gegen das Böse genügen: Zuwendung zu Leidenden, Benachteiligten und Ausgegrenzten gepaart mit unbedingtem Gottvertrauen. Jesus ist einer, der zwar auch von Herrschaft und Reich spricht, aber von einem Reich, in dem die Starken die Schwachen schützen, die Fähigen den Mittellosen dienen und die Not der Armen mehr wiegt als das Geld der Reichen. Ich halte insgesamt für unwahrscheinlich, dass die von diesem Friedenskönig Begeisterten tatsächlich dieselben waren, die andern­tags vor Gericht seinen Kopf forderten.

Dahinter steckten vermutlich andere: Jene, die sich von Jesu Vision eines Friedensreiches wirklich bedroht sahen – in ihren Geschäften, ihrem Einfluss, ihrer Macht; jene, die stets profitiert hatten von der überkommenen Aufteilung in oben und unten, reich und arm, stark und schwach, und die hinter jeder Infragestellung dieser Strukturen eine persönliche Bedrohung und Nachteile witterten. Denn das ist ja zu beachten: Jesus kam zwar auf einem Esel und ohne Bewaffnung daher, aber harmlos waren er und seine Botschaft keineswegs.

Der Palmsonntag und das folgende Geschehen der Karwoche schälen seine Vision vom Gottesreich noch einmal in aller Schärfe heraus – und die Tatsache, dass diese Vision eine klare Positionierung verlangt und Neutralität keine taugliche Reaktion darauf ist: Entweder „Hosanna!“ – oder „Ans Kreuz mit ihm!“. Ein Dazwischen, ein Sowohl-als-auch, ein Ja-aber gibt es hier nicht, gibt es nicht gegenüber dem Anspruch des Evangeliums. Wo es um das Reich Gottes geht, bedeuten Schweigen, Unentschiedenheit oder eine nur halb-herzige Zustimmung in Wirklichkeit Ablehnung und Kreuz.

Dieses Thema brennt bis heute: Entweder gelten Menschenwürde und Menschenrechte unbedingt und ohne Einschränkung für alle, oder es werden Menschen geopfert. Jede Rela­tivierung der Menschenwürde, selbst unter dem Deckmantel politischer Vernunft, verletzt sie. In seiner Würde ist jeder Mensch ein König und alles andere menschenunwürdig.



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Die Wahrheit ist
dem Menschen zumutbar.

(Ingeborg Bachmann)
 
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