Die aktuelle Predigt

5. Sonntag der Osterzeit – B: Joh 15,1-8

(Linz − Ursulinenkirche, 28. IV. 2024)

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Früher hatten Österreichs Obstbauern noch Angst vor den „Eisheiligen“, also harschen Kälteeinbrüchen mit ein paar Frostnächten in der ersten Mai-Hälfte. Heute hat sich das Zeitfenster für diese meteorologische Obst- und Weinbaugefahr auf viele Wochen im Frühjahr ausgedehnt. So war es in den Wetternachrichten der vergangenen Tage zu hören. Und tatsächlich dürfte die Kälte der vergangenen Woche besonders für die Winzer nicht gut gewesen sein: Von bis zu 50% Ertragsausfall sprechen erste Prognosen.

Erfahrungen aus dem Weinbau prägen in der Bibel bekanntlich oft die Rede vom Christsein – von seinem Nährboden und seiner Kraftquelle, seinem Wachstum usw. Zeitgenössische Reden über das Christsein und über die Entwicklung der Kirchen in unserer Gesellschaft gleichen freilich eher dem aktuellen Pessimismus der Obstbauern über die heuer zu erwartenden Erträge: Gravierende Einbrüche überall – beim Personal, beim Geld, bei den Taufen; nur die Austrittszahlen wachsen noch. Und die Verbindung zum „wahren Weinstock“ ist sowieso prekär geworden – in und außerhalb der Kirchen. – Angesichts dieser Situation wird in unseren Kirchen seit Jahren um pastorale und organisatorische Neuausrichtungen gerungen. Manche sehen dabei den einzig gangbaren Weg ähnlich wie im Weinbau in einem grundlegenden Strategiewechsel, der sich mit einem Schlagwort zusammenfassen lässt: Qualität statt Quantität. Zumindest für die Weinkultur in Österreich hat dieses Rezept ja schon einmal aus einer tiefen Krise in eine wahre Erfolgsstory gemündet. In Hinkunft also Kirche als kleine, aber erlesene Elite anstelle einer Volkskirche?

Im Weinbau weiß man heute längst, dass es für die Güte des Weines wesentlich ist, Rebzweige, also den potenziellen Ertrag mengenmäßig zu reduzieren zugunsten höherer Fruchtqualität. Sollte das nicht auch für den Weinberg Gottes gelten? Wer wollte denn bestreiten, dass im kirchlichen Weinberg vieles wächst, das ihm nicht gerade zur Ehre gereicht und die Güte seiner Früchte trübt: sich in bloßer Folklore oder Ästhetik erschöpfen­des Kultur-Christentum etwa; laue Bürgerlichkeit mit untauglich gewordenen Moralcodices; oder feige und auf bloßen Selbsterhalt bedachte Kirchenleitungen und Funktionärskader? Müsste das alles nicht ausgesondert, weggeschnitten und ins Feuer geworfen werden, damit eine zahlenmäßig vielleicht stark reduzierte, dafür aber eine umso vitalere, reinere, überzeugendere Kirche übrig bliebe? Christentum nicht mehr länger als billiges Massen­gesöff, sondern als edler, feuriger Wein? – Die Vision ist verlockend – für Weinliebhaber zumal. Allein, sie wohl am Evangelium vorbei, weil sie gleich mehrere Dinge übersieht.

Zunächst: Der Winzer im heutigen Gleichnis ist einzig und allein Gott selber. Er ist es, der schneidet und reinigt. Kein Wort davon, dass Er sich dafür irgendwelcher Helfer bedient. Wer also wollte sich anmaßen, wer käme in Frage, ihm das heikle Winzergeschäft des Wegschneidens und Reinigens ab- und selbst in die Hand zu nehmen?

Wir Christ*innen – und das ist der zweite Punkt – wir sind im Gleichnis ja nichts weiter als die Reben, also weder der Weinstock – das ist ja Christus – noch die Früchte selbst! Unsere ganze Aufgabe beschränkt sich also darauf, Früchte hervorzubringen; und diese Aufgabe können wir – wie es heißt – nur dann gut erfüllen, wenn wir uns um eine möglichst gute und enge Verbindung mit dem Weinstock Christus sorgen: Um unsere eigene Verbindung, nicht um die der anderen Reben!

Und drittens – und an diesem Punkt unterscheidet sich das Evangelium am klarsten von moderner Weinbau-Philosophie: Im biblischen Gleichnis ist das Ziel stets beschrieben mit „mehr Frucht“ und „reiche Frucht“; nirgends steht „bessere“ oder etwa „süßere“ Frucht. Ich verstehe das nicht anders zu deuten denn so: Das Heil, das Glück, das gute Leben, das die Beziehung zu Gott zu schenken vermag – dieses „Leben in Fülle“ ist nicht für eine kleine Elite bestimmt. Nein, möglichst viele, womöglich alle Menschen sollen daran teilhaben. Dass Qualität und Quantität einander ausschließen – das mag für den irdischen Weinbau stimmen. Für den Weinberg Gottes scheinen doch andere Gesetze zu gelten.

Meine Predigt ist bis hierher noch nicht viel mehr als eine Warnung vor einem trügerischen Kurzschluss. Weil das aber noch wenig befriedigend ist, erlaube ich mir, uns Christ*innen doch noch einmal in einer anderen Rolle ins Spiel zu bringen: Anderen Worten der Evan-gelien zufolge dürfen wir uns ja doch auch als Arbeiter im Weinberg Gottes begreifen. Aber könnte es nicht sein, dass unsere Aufgabe in diesem Weinberg es eben nicht ist, wegzuschneiden und auszumisten? Das bleibt, wie gesagt, dem Winzer allein – Gott – vorbehalten. Unser Beitrag zu „mehr“ und „reicher“ Frucht muss dann wohl eher bestehen: im Hegen und Pflegen – also in der Sorge dafür, dass möglichst viele Reben überhaupt Interesse an einer Verbindung mit dem „besseren“ und „wahren“ Weinstock Christus entwickeln können, daran wachsen und schließlich Frucht bringen können. Aber dafür brauchen wir diese gute Verbindung selbst.



Nächste Predigt: 6. Sonntag der Osterzeit – B, 05. V. 2024

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(Ingeborg Bachmann)
 
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