Die aktuelle Predigt

Pfingsten – C: Joh 20,19-23

(Linz − Ursulinenkirche, 08. VI. 2025)

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„Geist“ und „Intelligenz“ meinen zwar nicht ein und dasselbe, aber ganz ohne einander kommen die beiden Begriffe auch nicht aus: „Intelligenz“ ist nach Wikipedia-Definition „die kognitive bzw. geistige Leistungsfähigkeit bei Menschen [und zum Teil auch Tieren] speziell im Problemlösen.“ Mit „Geist“ tut sich sogar Wikipedia nicht leicht, aber kognitive Leistungen scheinen untrennbar auch damit verbunden zu sein. – Ich bringe die beiden Begriffe „Geist“ und „Intelligenz“ heute deshalb miteinander in Verbindung, weil wir mittlerweile tagtäglich – häufig ohne es überhaupt zu merken – mit einer technologischen Innovation konfrontiert sind, für die sich alltagssprachlich leider der Begriff „künstliche Intelligenz“ etabliert hat und die über kurz oder lang nicht nur die Berufs- und Arbeitswelt, sondern voraussichtlich alle Lebensbereiche so umwälzen wird, wie alle großen techni­schen Revolutionen. Und immer in solchen Situationen stellt sich die Frage nach dem Wesenskern unseres Menschseins.

Ich bin selbst kein Informatik-Experte, aber ich habe einige Bekannte, die teilweise sogar in führender Position an der Entwicklung von KI beteiligt sind. Es gibt unter ihnen nicht einen, der hier mit der Bezeichnung „Intelligenz“ wirklich glücklich wäre. Sie sagen: Es handelt sich um technische Systeme zur Verarbeitung und Verknüpfung von Informationen zur Lösung von Problemen, die dabei die Fähigkeiten des Menschen in Hinblick auf Geschwindigkeit, Präzision und Fehleranfälligkeit in vielen Fällen bereits weit in den Schatten stellen – aber es ist im Wesentlichen nichts als pure Statistik. Viele dieser datenbasierten Systeme erscheinen nur als intelligent aufgrund ihrer die menschlichen Fähigkeiten inzwischen bei weitem übertreffenden technischen Rechenleistungen. Diese Systeme sind mittlerweile sogar selbstlernend und optimieren sich selbst andauernd. Sie sind sogar imstande, menschliche Verhaltensweisen wie Egoismus und Machtgier zu entwickeln – aber nur aus einem Grund: Weil sie Muster dieser Verhaltensweisen in den von Menschen stammenden Informationen finden, mit denen sie „gefüttert“ und „trainiert“ werden. Sie sind im Unter­schied zu echter Intelligenz aber niemals kreativ im eigentlichen Sinn; sie schaffen nichts wirklich Neues aus sich selbst; sie bleiben immer im Rahmen dessen, was ihnen an bereits vorhandenen Informationen zur Verfügung steht. Sie überschreiten also die Grenzen des bereits Erkannten, Gedachten und Gemachten nicht wirklich; sie verknüpfen höchstens neu.

Genau an diesem Punkt aber trennen sich maschinelle „Intelligenz“ und menschlicher Geist. Was den Menschen ausmacht, ist ja nicht bloß die rationale Fähigkeit, Lösungen für Probleme zu finden und laufend zu optimieren. Das können sogar manche Tiere. Was den menschlichen Geist ausmacht, ist die Fähigkeit zu echter Kreativität und Selbstüberschrei­tung. Wir Menschen nehmen uns und die Welt wahr, in der wir leben – aber wir können uns vorstellen, dass wir und unsere Lebenswelt auch ganz anders sein könnten. Aber selbst das ist noch nicht alles! Die Menschheit hat zwar über alle anderen Lebewesen hinaus ihre Fähigkeiten vorangetrieben, sich diese Welt zu eigen zu machen und sie zu beherrschen. Aber auch das macht uns noch nicht wirklich menschlich, sondern höchstens zu den findig­sten aller Tiere. Wir tragen aber sogar die Fähigkeit in uns, nicht nur eigene Bedürfnisse und Interessen zu verfolgen, sondern auch fremden Interessen Raum zu geben und dabei auf eigene Vorteile zu verzichten. Wir können mit unseren eigenen Lebensinteressen aus der „Mitte der Welt“ heraustreten und andere, höhere, bessere und v.a. gemeinsame Ziele in die Mitte unseres Denkens und Handelns stellen – nicht bloß, weil das Vorteile bringt und nützlich ist, sondern einfach, weil wir es als gut, wahr oder schön erkennen.

Das ist der Punkt, an dem nicht nur von wahrhaft menschlichem Geist gesprochen werden kann, sondern an dem dieser Geist auch „heilig“ genannt zu werden verdient: der Geist der Selbstüberschreitung auf das Gute, Wahre und Schöne – auf Gott hin.

Ich habe in dieser Hinsicht also überhaupt keine Sorge, dass KI oder wie immer man diese maschinellen Systeme nennen will, den „heiligen“ menschlichen Geist überflügeln oder gar überflüssig machen könnte. Ich sorge mich eher darum, dass viele Menschen das Potenzial ihres Geistes gar nicht wahrnehmen und entfalten, sondern verkümmern lassen und „findige Tiere“ bleiben. In diesem Feld hat sie die „künstliche Intelligenz“ tatsächlich längst überholt.



Nächste Predigt: 12. Sonntag im Jahreskreis – C, 22. VI. 2025

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Die Wahrheit ist
dem Menschen zumutbar.

(Ingeborg Bachmann)
 
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