28. Sonntag im Jahreskreis – C:
2Kön 5,14-17 / Lk 17,11-19
(Linz − Ursulinenkirche, 12. X. 2025)
Leider ist in den meisten Kirchgemeinden unseres Landes das Erntedankfest bereits an einem der vergangenen Sonntage abgefeiert worden. Leider deshalb, weil sich kaum bessere als die vorhin gehörten Bibelstellen für ein Dankfest eignen. Denn im Kern geht es da nicht um Heilungswunder an von Aussatz befallenen Menschen; das eigentliche Schlüsselwort lautet „Dankbarkeit“ – v.a. im Evangelium: Da sind 10 Aussätzige – Menschen, die zur Zeit Jesu sozial praktisch tot waren. Sie haben nicht den geringsten Grund, für ihr Los dankbar zu sein. Aus der Begegnung mit Jesus gehen alle 10 geheilt hervor, aber nur über einen wird gesagt, sein Glaube habe ihn gerettet – und zwar nachdem er umkehrte, um Gott lauthals zu loben und zu danken. – Zunächst wirkt diese letzte Episode wie ein Anhängsel an das scheinbar Entscheidende, also an die Heilung vom Aussatz, die ja allen 10 zuteil wird. Nur der Eine – der Dankbare – hört dann noch dieses weitere Wort, das wir ähnlich auch aus anderen biblischen Wunderberichten kennen: „Steh auf und geh! Dein Glaube hat dich gerettet.“ – Es ist, als ob da noch eine zweite Heilung erfolgt wäre – etwas, das über die Heilung vom Aussatz noch hinausgeht. Ich meine: Genau das ist keine bloße Draufgabe – nein: Diese zweite Heilung, die sich in der Dankbarkeit des Einen manifestiert, ist die eigentliche Kernaussage dieser Evangelienstelle.
Dankbarkeit gehört in unserer Gesellschaft zwar zu den Grundregeln höflichen Verhaltens; aber gerade als bloße Anstandsregel hat Danken vielfach seinen eigentlichen Sinn und Wert verloren. Ja, ich behaupte sogar: Echte Dankbarkeit ist in unserer Gesellschaft alles andere als selbstverständlich. Denn Danken bedeutet letztlich eingestehen, dass nicht alles an mir selbst liegt und in meiner Macht steht; dass ich als der, der ich bin, angewiesen bin auf Andere. An Kleinkindern, Kranken und älteren Menschen wird solche Abhängigkeit von der Zuwendung anderer in sehr greifbarer Weise erfahrbar. Aber kindlich schwach, krank oder alt zu sein, gilt in unserer Gesellschaft ja gerade nicht als erstrebenswert und wertvoll. Hier zählt es vielmehr, wenn man sich selbst zu helfen weiß; wenn man selbständig, unabhängig und auf niemandes Hilfe angewiesen ist. Der selfmade-man und die Power-Frau – das sind doch die Idealtypen unserer Gesellschaft.
Um jetzt nicht missverstanden zu werden: Dankbarkeit als bewusster Ausdruck des Angewiesen-Seins auf Andere weist den dankbaren Menschen keineswegs als schwach aus – im Gegenteil: Zum einen zeugt ein Mensch gerade dann von einer starken Persönlichkeit, wenn er es nicht nötig hat, sich ständig selbst zu beweisen und seine eigene Leistung hervorzukehren, sondern wenn er auch Anderem neben sich Raum zu geben fähig ist. Zum anderen aber könnte die Grundhaltung der Dankbarkeit für unsere Menschheit zur Überlebensfrage werden:
Pp. Franziskus benannte in seiner sozialen Nachhaltigkeits-Enzyklika „Laudato sì“ vor 10 Jahren drei menschliche Wurzeln der gegenwärtigen ökologischen und humanen Krise:
- Macht ohne Verantwortung: „Man neigt zu der Ansicht, jede Zunahme an Macht sei einfachhin ‚Fortschritt‘; … Tatsache [aber] ist, dass … das enorme technologische Wachstum nicht mit einer Entwicklung des Menschen in Verantwortlichkeit, Werten und Gewissen einher ging.“ (LS 105)
- Das Technokratische Paradigma, wonach alles machbar ist und nur eine Frage der richtigen Technologie. (LS 108)
- Eine Anthropozentrische Maßlosigkeit: „Wenn sich der Mensch für unabhängig von der Wirklichkeit erklärt und als absoluter Herrscher auftritt, bricht seine Existenzgrundlage selbst zusammen.“ (LS 117)
„Es wird keine neue Beziehung zur Natur geben ohne einen neuen Menschen.“ (LS 118) – Was diesen neuen, geheilten Menschen ausmacht, ist letztlich eine Grundhaltung der Dankbarkeit – also eine Haltung, in welcher der Mensch sich nicht länger als unabhängiges Gegenüber, wenn nicht gar Herr der Schöpfung begreift, sondern als Teil von ihr, von ihr abhängig und ihr zu Respekt, Anerkennung und Verantwortung verpflichtet.
Die Bewältigung der ökologischen Krise ist also keineswegs nur eine Frage neuer, „grüner“ Technologien, auch nicht nur eine Frage der richtigen und entschlossenen politischen Rahmensetzungen oder veränderter Lebensgewohnheiten. Es ist letztlich auch und von entscheidender Bedeutung die Frage einer Spiritualität der Dankbarkeit und ihrer Einübung: Wer sich dessen bewusst ist, dass er/sie das eigene Leben und seine existenziellen Grundlagen nicht sich selbst verdankt, sondern dass alles Leben ein ungeschuldetes Geschenk ist, wird allem Leben in einer anderen Haltung begegnen: in Demut, in Ehrfurcht, in Dankbarkeit. Und er/sie wird sich hüten, alle Güter dieser Welt einfach dem eigenen Zugriff unterzuordnen. – Nichts anderes denn so eine Erinnerung und Einübung wäre auch das jährliche Erntedankfest. Hier mitten in der Stadt haben wir zwar keine Erntekronen und ähnliches Brauchtum, aber deshalb nicht weniger Ursache und Möglichkeiten zur Einübung in die lebensrettende und heilsame Tugend der Dankbarkeit. Ein kurzes Tischgebet vor den täglichen Mahlzeiten könnte da z.B. schon ein kleiner Anfang sein…